Warum erfordern Sprints und Langstreckenläufe verschiedene mentale Fähigkeiten?

„Meine Gedanken vor einem großen Rennen sind meistens ziemlich simpel. Ich sage mir: Komm gut aus dem Block, lauf dein Rennen, bleib locker. Wenn du dein Rennen läufst, wirst du gewinnen. Kanalisiere deine Energie. Fokussiere dich.“

Evolutionär betrachtet sind Menschen auf das Gehen und Laufen ausgelegt. Diese Bewegungsform ist so tief verankert, dass sie oft reflexartig, ohne aktives Nachdenken, abläuft. Die rhythmischen Bewegungsmuster dieser Fortbewegung werden durch neuronale Schaltkreise im Rückenmark generiert [1], während höhere Hirnregionen wie der Motorkortex diese Bewegungen verfeinern und an zielgerichtetes Verhalten anpassen.

Mentale Ausdauer als wesentlicher Erfolgsfaktor bei Langstreckenläufen.

Unsere zweibeinige Fortbewegung ermöglicht eine effiziente Bewegung über lange Distanzen und damit auch über extreme Strecken wie 100 km oder mehr [2]. Einer der Schlüsselfaktoren, warum Laura Philipp 2024 Ironman-Weltmeisterin wurde, liegt laut ihrem Trainer in ihrer Fähigkeit,  dank mentaler Ausdauer eine gute Laufhaltung über den gesamten Marathon ihres 8+ Stunden Rennens zu halten [3]. Studien zeigen, dass mentale Ermüdung ein limitierender Faktor im Ausdauersport ist [4, 5]. Demnach sei die Entscheidung, das Tempo beizubehalten oder eine Pause einzulegen, im Wesentlichen eine mentale Entscheidung. Mental erschöpfte Athlet*innen empfinden die Anstrengung in einem Rennen als höher und fühlen sich, als würden sie ihre körperlichen Grenzen früher erreichen [6]. Obwohl körperliches Training natürlich entscheidend ist, um die physischen Grenzen des Körpers zu erweitern, deuten diese Untersuchungen darauf hin, dass mentale Vorbereitung ein wesentlicher Faktor ist, um die körperlichen Möglichkeiten bei einem Wettkampf tatsächlich voll ausschöpfen zu können [7].

Der richtige Fokus führt zu besserer Sprintleistung.

In der Disziplin Sprint kommt es auf Millisekunden an. So können sogar kleinste Details große Auswirkungen auf den Erfolg haben, wie eine Analyse von Usain Bolts Weltrekord Lauf über 100m vom 16.08.2009 in Berlin zeigt [8]. Über seine Leistung sagte Bolt: „Man kann wirklich fit sein, aber wenn man mental nicht auf die Herausforderung vorbereitet ist, wird man manchmal scheitern“ [9]. Die Sprintdisziplin bietet zahlreiche Möglichkeiten zur Leistungssteigerung durch mentales Training. Beispielsweise ist die Entwicklung einer Routine vor dem Start ein wirksames Mittel, um den Fokus vor und während des Starts zu stärken. Das ist die kritische Phase, in der Athlet*innen Ablenkungen wie Lärm durch Zuschauer ausblenden und sich auf den Startschuss konzentrieren müssen. Zahlreiche Studien haben beispielsweise gezeigt, dass ein Fokus auf äußere Reize wie die Laufbahn oder die Ziellinie, die vor einem liegt (statt auf das eigene Körpergefühl) die Sprintleistung signifikant steigert [10, 11, 12].

Die Reaktionszeit ist ebenfalls entscheidend [13], allerdings geht es beim Start nicht nur um Schnelligkeit: Timing und das Vermeiden von Fehlstarts sind ebenso wichtig. Zu große Nervosität kann zu einem verfrühten Start führen, während zu große Entspannung eine verzögerte Startreaktion zur Folge haben kann [14]. Der richtige mentale Zustand vor dem Rennen, bei dem der Körper entspannt, aber der Geist voll fokussiert ist, stellt sicher, dass jede Bewegung mit optimaler Präzision ausgeführt wird.

Beim Hürdensprint sind die Anforderungen an jeden einzelnen Schritt sogar noch höher. Die genaue Länge und das Timing bestimmen den Erfolg an der nächsten Hürde und somit des gesamten Rennens [15, 16]. Es ist nicht verwunderlich, dass eine gleichmäßige Schrittlänge und Rhythmus mit einer besseren Leistung im Hürdenlauf verbunden ist [17]. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gehirn sowohl bei Langstrecken- als auch bei Sprintläufen eine entscheidende Rolle spielt. Die Entwicklung mentaler Strategien kann Athlet*innen sowohl im Kampf gegen kognitive Ermüdung, als auch für die Optimierung motorischer Abläufe unter Drucksituationen helfen.

Unser Tipp: Vor Deinem nächsten Trainingsrennen kannst Du Deinen inneren Zustand überprüfen:

Neigst Du dazu, zu angespannt und gestresst zu sein, oder bist Du vielleicht zu entspannt? Du kannst diese natürlichen Reaktionen kontrollieren, indem du dich auf deine Atmung konzentrierst, um dich zu beruhigen, oder indem du mit den Füßen auf den Boden stampfst, um dich zu „aktivieren“.

Das Implementieren einer Routine vor jedem Rennen und im Training kann Dir zusätzlich helfen, Dich in den Momenten vor dem Start auf das Wesentliche zu konzentrieren.

#trainyourbrain

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Referenzen

[1] Wikipedia Artikel “Central Pattern Generator”: Link

[2] Video Langstrecken im Vergleich: Link

[3] Interview mit Laura Philipp: Link

[4] PloS one Artikel: Link

[5] Medicine and Science in Sports and Exercise Artikel: Link

[6] Video über Mentalität im Ausdauersport: Link

[7] MIT Press Artikel: Link 

[8] Videoanalyse von Usain Bolt: Link

[9] CNBC Make It Artikel: Link

[10] Springer conference Artikel: Link

[11] International Journal of Environmental Research and Public Health Artikel: Link 

[12] Research Quarterly for Exercise and Sport Artikel: Link

[13] The Journal of Strength and Conditioning Research Artikel: Link

[14] eNeuro Artikel: Link

[15] Video Hürdenlauf Fehler: Link

[16] Video Hürdenlauf Fehler: Link

[17] Motor Control Artikel: Link